Aus der Toilette nicht trinken

Die Nacht in der kleinen Hütte war unruhig, ich habe kaum geschlafen. Stefan auf der Pritsche über mir hat die halbe Nacht mit seiner Matratze geraschelt und ich glaube ich hatte auch etwas Angst, aus dem schmalen Bett zu plumpsen. Das Wetter ist wieder besser, immerhin. Die Sonne steht quasi direkt vor uns und taucht den See vor uns in goldenes Licht, lässt die Grasbüschel leuchten und die Felsen glitzern – Wunderschön!

Während wir gemütlich frühstücken, macht sich Barry bereits auf den Weg. Er muss ab jetzt Doppeletappen laufen, um rechtzeitig den Anschluss nach Nuuk, der Hauptstadt von Grönland, zu bekommen, wo er berufliche Termine hat. Um 8:30 Uhr schließen wir die Tür der Hütte hinter uns und gehen gut gelaunt los.

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Es geht nach kurzer Zeit steil bergauf, der Weg ist hier nicht breiter als meine Schuhsohle, das fordert sowohl physisch als auch psychisch. Allerdings sind wir heute alle erstaunlich fit, das liegt zum einen daran, dass der Rucksack langsam merklich leichter geworden ist, zum anderen hat sich der Körper mittlerweile an das ständige gehen und das zusätzliche Gewicht gewöhnt. Und es ist auch nicht mehr ganz so warm, 14°C sind es in der Sonne, sehr angenehm um sich einen Berg hochzukämpfen. Wir erreichen ein Hochplateau mit einem kleinen See, den wir irgendwie auf der falschen Seite umrunden. Der Untergrund ist mal wieder relativ feucht. Es geht noch weiter hoch und oben angekommen raubt uns die Aussicht mal wieder den Atem. Diese ursprüngliche Landschaft hat mein Herz erobert. Von hier sehen wir auch das erste Mal Schnee auf den Berggipfeln am Horizont.

Wir gehen auf dem Berg von Steinmännchen zu Steinmännchen, dann kommt der Abstieg. Gut 400 Meter geht es steil nach unten, wir wissen: Ein Schrittfehler kann hier schnell fatale Folgen haben. Als es nicht mehr so steil ist, machen wir eine kleine Pause. Es gibt Müsliriegel und jede Menge Blaubeeren. Neben Blaubeeren finden wir auch immer mehr andere kleine fast schwarze Beeren, allerdings weiß ich nicht so richtig, was das für welche sind, deswegen esse ich die lieber nicht. Und während ich so sitze merke ich doch, dass ich ganz schön erschöpft bin. Wir treffen ein Paar aus Deutschland und unterhalten uns eine ganze Weile über die anstehende Furt im Tal – etwas, was mir schon seit heute Morgen etwas Bauchschmerzen bereitet. Ich habe noch nie zuvor gefurtet und wir wissen nicht, wie hoch der Wasserstand ist. Im schlimmsten Fall kann der bis zu 1,50 m hoch sein, das fände ich so gar nicht gut. Für diesen Fall gibt es wohl irgendwo eine Brücke über den Fluss, allerdings wäre das ein ganz schöner Umweg und eigentlich wollen wir die nicht nehmen, wenn wir es nicht unbedingt müssen. Aber erstmal müssen wir am Fluss ankommen und der Blick ins Tal lässt schon erahnen: Es wird feucht.

Auf dem Weg nach unten kommt uns der Mann wieder entgegen… Benzinflasche verloren. Ganz schlecht, hoffentlich findet er sie. Wir erreichen die Wiese, die wir von oben gesehen haben. Leider lagen wir mit unserer Vermutung, dass es feucht werden könnte, daneben. Es ist nicht nur feucht, das ist ein Sumpfgebiet. Nach ein paar vorsichtigen Schritten ist uns klar, dass wir das unmöglich trockenen Fußes meistern können, also wechseln wir auf unsere Furtschuhe. Die ersten Meter sind kalt und eklig, ich versinke zum Teil bis zur Wade im Wasser. Aber irgendwie gewöhnt man sich dran, auch wenn es irre anstrengend ist. Hoffentlich liegen hier keine toten Tiere drin.

Kurz darauf stehen wir vor dem Fluss, den es zu durchqueren gilt. Für mich sieht die Stelle, an der wir stehen, gar nicht so schlecht aus, Stefan erklärt uns aber, dass das nicht so geeignet ist, da zu breit und zu viele Steine. Mittlerweile sind auch die beiden Deutschen wieder da – mit Benzinflache. Wir gehen gemeinsam ein Stück flussaufwärts bis zu der Stelle, wo ein paar Kanus liegen, die wir bereits von oben entdeckt haben. Hier ist es nicht so breit und wir treffen auf ein Paar aus Südamerika (?), die eine Anglerhose gefunden haben. Er ist noch auf der anderen Seite des Ufers und sieht etwas ratlos aus, Kommunikation ist hier allerdings recht schwierig, da sie sehr schlecht Englisch spricht. Wir sollen aber irgendwie die Hose und den Trekkingstock auf die andere Seite bringen, damit er rüber kann.

Ich bin schon etwas aufgeregt, als ich mir die Schuh um den Hals hänge und die Hose ausziehe. Stefan geht vor und steht mit einem Seil um den Bauch parat, um uns im Zweifel zu unterstützen. Das Wasser geht uns bis zum Oberschenkel und fühlt sich überraschend warm an, als ich mich vorsichtig durch den Fluss bewege. Die Strömung drückt ordentlich gegen die Stöcke und meine Beine. Bitte, bitte nicht fallen, denke ich. Und dann erreiche ich das adere Ufer, geschafft! Bernd kommt als nächstes, dann das deutsche Paar, dann geht der Südamerikaner auf die andere Seite. Das war ganz schön nervenaufreibend. Wir beschließen, noch etwas an dem Fluss zu bleiben und machen Waschtag. Erst waschen wir uns, dann alles an Klamotten, was nötig ist.

Anschließend gibt es warm eingepackt noch einen Tee, während ich ein paar Blaubeeren nasche, die in Reichweite sind. Bloß nicht zu viel bewegen. Und während unsere Sachen so im Wind wehen und trocknen, fängt auf einmal meine Uhr an zu piepsen: Unwetterwarnung. Ohje! Ja, das Wetter ist schlechter geworden, aber Unwetter? Brauche ich jetzt so gar nicht. Natürlich hab ich mich vorher überhaupt nicht mit dieser Warnfunktion auseinandergesetzt und demnach weiß ich auch nicht, was genau uns erwarten kann. Uns macht das allerdings relativ nervös. Hastig räumen wir zusammen und gehen weiter durch das Tal. Es sind noch gute fünf Kilometer bis zur Eqalugaarniafik Hütte, die einzige Möglichkeit, uns vor dem Wetter zu schützen. Man kann am Fuß des Berges relativ gut gehen, dennoch riecht es sehr moderig und zum ersten Mal kommen auch die Mückennetze zum Einsatz. Irgendwie wollen die Beine nicht so, wie wir das wollen und wir machen nochmal eine kurze Verschnaufpause, bevor es wieder sumpfig wird. Laune ist nach wie vor angespannt.

Dann verlassen wir endlich das moderige Tal und gehen links den Berg hinauf. Die Steigung ist nicht so steil wie die letzten Anstiege, dennoch ziehen sich die drei Kilometer bergauf ganz schön. Das Wetter ist tatsächlich wesentlich schlechter geworden, dunkle Wolken sind am Himmel und der Wind pfeift uns um die Ohren. Irgendwann ist endlich die Hütte in Sicht. Bernd brabbelt irgendwas in seine Kamera, als ich die Arme ausstrecke und den kalten Wind genieße. „Ob du heute noch weiter berghoch laufen willst, hab ich gefragt!?“ Ganz klar: „Nein!“ Mal sehen, ob die beiden Deutschen, mit denen wir gefurtet sind, auch in der Hütte sind. Wir gehen heue jedenfalls nicht mehr weiter.

Sind sie nicht, dafür kommt Stefan, der ein paar Meter vor uns war, freudestrahlend heraus. Kartuschen! Das hebt die Laune spürbar, wir haben uns nämlich Sorgen gemacht, dass wir mit unserem Gas nicht auskommen. Nein, eigentlich war ich mir sicher, dass das nicht reicht, bei der Menge die wir Zwischendurch für warme Getränke etc verbraucht haben. In der Hütte gibt es gleich mehrere angebrochene Kartuschen, große und mittlere, das rettet uns echt den Allerwertesten. Es gibt nicht nur Kartuschen, sondern auch Haferflocken, Kakao, Kaffee, komisches polnisches Pulver (Kartoffelbrei?), Furtschuhe (leider zu klein für Stefan), eine Toilette, ein Kartenspiel, Kerzen, einen Besen, einen Tisch und zwei Holzpritschen mit jeweils drei Schlafplätzen, eine Kochnische mi Wasserkessel, eine Wäscheleine und den obligatorischen Ofen. Also ziemlich gut ausgestattet. An der Wand hängen mehrere Anleitungen, wo man am besten Wasser holen kann. Stefan begutachtet die Toilette während ich versuche herauszufinden, was denn die neueste Beschreibung zum Wasser ist. Hoffentlich nicht die, die einen runter zum Fjord schickt. „Aus der Toilette nicht trinken“ lacht Stefan. Aber eigentlich sollten wir mit unserem Vorraut auch bis morgen auskommen.

Wir fangen erstmal an aufzuräumen und zu putzen, irgendjemand hat sich am Tisch die Nägel geschnitten, das ist schon ziemlich fies. Die Schaumstoffmatratzen wollen wir nicht benutzen, die sind ganz schön durch. Wir setzen Wasser auf dem Kessel auf und bereiten die Karte auf dem Tisch aus und schauen uns die Etappe für morgen an, schließlich trennt sich hier die Nord- und Südroute. Es kommen noch zwei Wanderer, die stecken aber nur kurz den Kopf rein und verschwinden wieder, ohne ein Wort zu sagen. Später sehen wir, dass sie ihr Zelt ganz in der Nähe aufgebaut haben. Komische Typen. Etwas weiter weg entdecken wir noch ein weiteres Zelt. Anscheinend traut sich keiner zu uns in die Hütte. Mehr Platz für uns. Während wir Kakao und Tee trinken, planen wir den nächsten Tag. Ich will immer noch lieber die Südroute nehmen, aber eigentlich weiß ich, dass die Entscheidung für die Nordroute schon steht. Draußen regnet es und wir schauen immer wieder aus dem Fenster, auf der Suche nach „Mochsen“. Das ist unsere Abkürzung für Moschusochsen und die wollen wir unbedingt noch sehen. Ich bin wirklich froh, dass wir die Nacht hier drinnen verbringen.

Wir packen unser ganzes restliches Essen aus und wählen genüsslich aus, was es zum Abendessen gibt. Satt und zufrieden gibt es dann noch eine Tasse Ingwertee, wir hatten ja mit etwas über 11 km und nur 300 m Aufstieg einen recht entspannten kurzen Tag.

Video zu Tag 5!

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2 Responses

  1. Das hast Du wieder absolut gefühlsecht beschrieben. Toll. Der Unwetteralarm deiner Uhr ist mittlerweile logisch für mich. Da die Uhr für Hektopascal und Höhenmesser nur einen Druckmesser hat verschieben sich die Werte übergreifend. Bei 8m Höhenunterschied ändert sich der Wert Hektopascal um 1. Da wir kurz vorher bestimmt 300m abgestiegen sind hat die Uhr das als schnellen Druckverlust registriert und somit gedacht das Wetter ändert sich schlagartig….. Hat es dann ja aber nicht

    Freue mich schon auf den nächsten Tag

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