Honeymoon-Suite mit Klarmachkerze
Ich habe gut und relativ lang geschlafen. Es ist 7:00, als ich die Augen das erste mal aufmache. Ein Blick aus dem Fenster unserer kleinen Hütte zeigt: Immer noch regen und wolkenverhangene Berge. Wir frühstücken gemütlich und lassen es langsam angehen, in der Hoffnung, dass der Regen vielleicht bald aufhört. Tut er aber nicht. Und irgendwann müssen wir ja los gehen, heute wollen wir 20 km gehen, mit einigen Höhenmetern direkt zu Beginn. Für T-Shirt und Jacke ist es mir zu kalt, für Pulli zu warm, also behalte ich einfach mein Merino-Langarmshirt an, in dem ich eigentlich nur schlafe. Furten müssen wir auch. Und eigentlich lohnt es sich für die 300 m bis dahin gar nicht, Schuhe und Socken anzuziehen. Machen wir aber trotzdem und um kurz vor 9:00 Uhr stehen wir mit mäßiger Begeisterung im Regen.
Am Bach angekommen stellen wir fest, dass die Furt gar keine Furt mehr ist. Zugunsten der ATV Strecke (All Terrain Vehicle), die dieses Jahr fertig gestellt wurde, wurden dicke Steine in den Bach als „Brücke“ gerollt, sodass wir trockenen Fußes hinüber können. Wir füllen noch schnell die Wasserflaschen auf, dann geht es rauf. Es ist steil und matschig und rutschig. Wir verlieren den schmalen Weg, der sich den Berg hoch schlängelt. Zum Glück habe ich diesmal den Track auf der Uhr mehr im Blick sodass wir schnell eine Richtung haben und nach einem kurzen Kampf durch Heidelbeersträucher und Kriechweiden sind wir wieder auf dem Trail. Die Männer ziehen Regenhose bzw. -rock über, ich verfluche mich dafür, dass ich nichts eingepackt habe. Meine Hose ist jetzt schon voll mit Wasser. Nach gut fünf Kilometern und mehr als 300 Höhenmetern wird es flacher, doch nach Pause ist uns allen nicht zumute. Der Wind peitscht uns den eiskalten Regen ins Gesicht, ich bin pitschepatsche nass und kalt, gehe mit zusammengebissenen Zähnen voran, versuche mich warm zu halten und merke nicht, wie weit die beiden hinter mir sind. Erst als ich anhalte, um mir meine Handschuhe anzuziehen stelle ich fest, dass ich alleine bin. Auch das noch. Ich warte bis sie aufgeschlossen haben, dann gehen wir gemeinsam weiter über den Fels, einen Weg sieht man hier nicht wirklich. Dafür gibt es viele Steinhaufen, die uns den Weg weisen. Wenn es nicht so nebelig wäre, wäre das glaube ich eine richtig schöne Etappe. Es geht ein gutes Stück runter und der Regen lässt nach, wir gehen eine Weile parallel zu einem großen See, der Weg ist rutschig und stellenweise muss man ganz schön aufpassen, dass man nicht den Berg runterkugelt.
Wir gehen jetzt parallel zu der ATV Strecke und an einem großen Fels machen wir dann doch endlich Pause. etwa die Hälfte unserer heutigen Etappe liegt hinter uns. Ich ziehe mir die Daunenjacke an, sitze auf meinem Sitzpolster und genieße eine Tasse heißen Tee, den Stefan gekocht hat, dazu gibt es einen Müsliriegel. Lange verweilen wir hier aber nicht, meine Hose ist immer noch ziemlich nass und wir wollen nicht noch weiter auskühlen, die zwölf Grad fühlen sich an wie zwei. Außerdem haben uns die 300000000 Mücken gefunden.
Als wir weiter gehen, führt der Weg auf den ATV Track, den wir bereits von oben gesehen haben. Er verbindet Sisimiut mit Kangerlussuaq seit 2022, war zu der Zeit, als wir da waren, allerdings noch nicht offiziell eröffnet. Es ist auch die erste und einzige „Straße“, die auf Grönland zwei Orte miteinander verbindet, alles andere passiert per Luft- oder Wasserweg. Eigentlich ist es auch mehr ein breiterer Wanderweg, aber wenn hier Quads durchballern, stelle ich mir das ganze nicht so schön vor, weil laut und schnell und so. Deswegen wollte ich auch lieber die Südroute nehmen, die seitdem markiert ist (vorher war sie wohl vorhanden aber schlecht bis gar nicht markiert). Naja, long story short – wir sind jetzt ganz froh, ein paar Meter drauf zu gehen, denn hier versinken wir nicht so sehr im Schlamm (Auch wenn der Track an anderen Stellen sehr sehr schlammig ist).
Wir verlassen den Track wieder und gehen weiter auf dem Trail. Ich glaube, das Wasser steht mittlerweile in meinen Schuhen. Nach kurzer Zeit stehen wir vor einer Wiese, den Trail können wir nicht sehen. Und die Wiese entpuppt sich schnell als Sumpflandschaft. Natürlich. Wir halten uns rechts und hüpfen über merkwürdige Grashügel, was super anstrengend ist, ich merke, dass ich heute, trotz der ganzen Höhenmeter, kaum etwas getrunken und gegessen habe. Die Beine sind schwer. Irgendwann geben wir alle auf und waten einfach durch den Sumpf. Nasser werden die Füße sowieso nicht mehr.
Wir sehen aus der Ferne zwei Personen, die uns entgegenkommen, immerhin scheinen wir nicht wieder komplett in die falsche Richtung zu gehen. Und auf einmal stehen wir an einem breiten Fluss, der ordentlich Wasser führt. Und gut 3 Meter unter uns liegt. Verdutzt bleibe ich stehen. Wie sollen wir denn da rüber kommen? Fragend sehen wir uns an und gehen erstmal flussaufwärts. Dort sehen wir auch eine Markierung. Vielleicht müssen wir auch gar nicht auf die andere Seite. Ich bin total durchgefroren und vollkommen fertig. Meine Laune hebt sich etwas durch die Rentiere, die wir immer mal wieder entdecken, einmal ist sogar ein Kalb dabei. Es regnet auch wieder. Bald muss die Hütte kommen, wo wir endlich Pause machen können. Ich brauche dringend etwas warmes. Aber vorher müssen wir nochmal berghoch. Meine Beine machen zu und jeder Schritt wird zur Qual für mich. Schweigend kämpfe ich mich im Schneckentempo berghoch. Und dann ist endlich die kleine Innajuattoq Hütte. Oder besser gesagt: das Wohnklo. Die Hütte ist wirklich winzig und besteht eigentlich nur aus Matratzen, einer kleinen Bank für 2 Personen und einem Kochbereich und Petroleumofen, ähnlich wie die Katiffikhütte. Ist aber total egal, Hauptsache trocken und Hauptsache sitzen. Wir sind alle vollkommen erschöpft und ich fange schon an, die nassen schuhe auszuziehen, als Stefan vorschlägt, noch weiter bis zur nächsten Hütte zu gehen, die größer und schöner gelegen ist. Dürften so ein bis zwei Kilometer sein. Kein Tee. Ich mache mir so einen etwas merkwürdigen Shake und rede mir ein, dass mir das genug Energie gibt, um bis zur nächsten Hütte zu kommen. Motivation und Kraft sind nicht mehr vorhanden.
Noch ein paar Schritte bergauf, die sich wie Kaugummi ziehen, dann können wir die Hütte schon sehen. Die Lage ist wirklich traumhaft, am Ufer eines großen Sees, in dem in der Mitte eine kleine Insel ist, rechts und links ragen die Berge in die Wolken. Und nach etwa zehn Minuten sind wir auch schon da. 8,5 Stunden waren wir heute unterwegs, 19,4 km und mehr als 650 hm und unzählige Flussüberquerungen liegen hinter uns. Es war definitiv die richtige Entscheidung, weiter zu gehen. Wie Urlaub in Norwegen. Tatsächlich ist die Hütte ein bisschen wie ein Ferienhaus. Links vom Flur geht es zum Plumpsklo, geradeaus durch eine weitere Tür in den „Wohnraum“. Schuhe ausziehen! Hier befindet sich ein recht großer Kochbereich mit Spüle, daneben zwei Betten, die als Sofa genutzt werden können, um die Ecke ein Tisch mit Bänken. Und Klarmachkerze! (kleiner Insider von einem Treffen einige Monate zuvor) Es gib einen Petroleumofen und Wäscheleinen. Im Schlafraum sind zehn weitere Betten und ein weiterer Ofen. Und die müssen wir heute definitiv ans laufen bringen. Aber erstmal raus aus den nassen Sachen. Unsere Socken können wir auswringen und meine Füße sehen aus wie drei Tage Badewanne. Von meinem Tape werde ich mich jetzt wohl auch verabschieden. Leider gibt es wieder keine Anleitung für die Öfen. Wir zünden die Kerze an und kochen erstmal Tee. Wirklich warm ist mir aber noch nicht wieder. Im WC sind irgendwelche Hebel für die Petroleumleitungen, leider kriegen wie die Dinger trotz etlichen Versuchen nicht zum brennen. Ob die Sachen wohl trotzdem trocknen?
Als wir aufgetrunken haben, ist die Laune schon wieder viel besser, wir pusten die Kerze aus, damit nachfolgende Wanderer auch noch etwas davon haben, lesen in den „Gästebüchern“ und fantasieren von Dingen, die wir gerne Essen und trinken würden. Immerhin finden wir eine Asia-Würzpaste in der „Küche“ und peppen das Abendessen damit etwas auf. Und dann stellen wir fest, dass wir nicht mehr, wie bisher gedacht, vier Etappen, sondern nur noch drei Etappen vor uns haben. Und damit wäre Zeit für einen Zero-Day, den ich eigentlich dringend nötig hätte. Und dieses Hütte wäre perfekt dafür. Dann fällt uns aber wieder die Reisegruppe hinter uns ein und wir verwerfen die Idee. Es gibt das letzte mal Ingwertee vorm Schlafen.
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