Ankunft auf Skye
Mit klopfendem Herzen sitze ich in einem Café im Frankfurter Flughafen. Wo bleibt Bernd? Und was ist mit Katrin? Irgendwie haben Katrin und er es geschafft, sich unterschiedliche Flüge aus Hamburg nach Frankfurt zu buchen. Katrin, die Tochter von Bernds Arbeitskollegin – niemand von uns hat sie je getroffen. Wir hoffen, sie später am Gate zu finden. Bernd gibt sich optimistisch: ‚Sie sieht aus wie ihre Mutter, nur jünger.‘ Na, das hilft uns hoffentlich weiter.
Zum Glück klappt es tatsächlich – am Gate steht eine junge Frau, die uns freundlich zuwinkt. Endlich geht es los: Schottland, wir kommen!
Doch in Glasgow wird unsere Euphorie schnell gedämpft. Katrin hat eine Nachricht bekommen: Ihr Gepäck ist verschwunden, nicht in Glasgow angekommen. Nach zähen Telefonaten steht fest – es wird frühestens um Mitternacht da sein. Keine Option für uns. Unser Bus fährt in einer Stunde.
Die Reise nach Skye beginnt chaotischer, als geplant.
Wir trennen uns am Flughafen, Katrin sucht sich ein Hotel in der Stadt, Bernd und ich suchen das richtige Busterminal. Ich frage mich durch und als wir endlich die richtige Haltestelle gefunden haben, kommt kein Bus. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn. Mit so warmen Temperaturen hatten wir nicht gerechnet. Bernd trommelt mit den Fingern auf seinem Rucksack. Wieder ein Blick auf die Uhr. Die Minuten ziehen sich wie Kaugummi. Mein Magen zieht sich zusammen. Was, wenn der Bus gar nicht mehr kommt? Ich frage nochmal nach. Heute soll kein Bus nach Skye fahren. Aber wir habe die Tickets doch vorgebucht. Ungeduldig warten wir und schwitzen. Und dann kommt endlich doch noch ein Bus!
Der Busfahrer kontrolliert unsere Tickets. „You were supposed to be three“. Naja, theoretisch sollten wir sogar zu viert sein. Aber das war schon vor Abflug Geschichte – die Details erspare ich dem Busfahrer lieber. Nun sitzen wir also zu zweit im Bus. Am Flughafen haben wir uns noch mit Getränken eingedeckt. Sechs Stunden Fahrt liegen vor uns. Es geht durch die Highlands nach Fort William und Bernd und ich werden etwas nostalgisch, schwelgen in Erinnerungen an den West Highland Way, den wir unabhängig voneinander gewandert sind und dessen Orte der Bus immer wieder ansteuert. Vor ein paar Jahren saß ich schonmal in einem Bus dieser Linie, um einen Etappenteil zu überspringen, weil gesundheitliche Probleme aufgetaucht sind.
Die engen Kurven und holprigen Straßen lassen meinen Magen rebellieren, und ich bin erleichtert, als Fort William endlich vor uns auftaucht – eine kleine Oase der Ruhe nach Stunden des Schaukelns. Für die meisten Passagiere endet die Fahrt hier, wir nutzen die halbe Stunde Zwischenstop, um im Supermarkt Gaskartuschen für unsere Kocher zu kaufen, da dies in Broadford wohl eher schwierig sein soll. Unsere Sachen lassen wir im Bus liegen. Natürlich bleibt es nicht bei Gaskartuschen und so stehen wir kurze Zeit später mit einem Eis in der Hand wieder am Bus. Öffentliche Toiletten hatte der Supermarkt zum Glück auch. Zurück an unseren Sitzen, müssen wir leider feststellen, dass alles, was wir an angebrochenen Lebensmitteln zurückgelassen haben, entsorgt wurde. Auch der sorgfältig in eine kleine PET-Flasche abgefüllte Whisky. Schade drum. „Gas haben wir!“, tippe ich schnell in mein Handy und schicke die Nachricht an Katrin, während Bernd neben mir mit einem letzten, bedauernden Blick auf den entsorgten Whisky den Kopf schüttelt. Ein leichtes Kribbeln steigt in mir auf. Die Sonne tanzt auf der Wasseroberfläche wie flüssiges Gold, und mit jedem Kilometer über die Brücke nach Skye spüre ich, wie das Abenteuer greifbarer wird. Skye, das mystische Eiland – jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Ca. sechs Stunden nach Abfahrt erreichen wir Broadford. Das Hostel ist nur wenige Gehminuten von der Bushaltestelle entfernt. Nachdem wir unser Gepäck abgeladen haben, gehen wir einkaufen. Abendessen und Frühstück für den nächsten Tag, noch ein paar Snacks und Kaltgetränke für den Abend, welche wir tatsächlich draußen trinken. Damit haben wir gar nicht gerechnet. Erfreulicherweise sind auch keine Midges unterwegs, obwohl ein Schild im Hostel noch davor gewarnt hatte. Mir liegt noch etwas eine Erkältung in den Knochen und ich bin froh, als wir nach dem langen Tag und sehr reichhaltigem Abendessen endlich im Bett liegen.




Warten auf den Start
Der nächste Morgen beginnt entspannt. Wir frühstücken ausgiebig und packen unsere Sachen. Und hoffen inständig, dass Katrin ihr Gepäck bekommt und den Bus um 10.30 Uhr nehmen kann. Noch eine letzte heiße Dusche, dann checken wir aus und fragen, ob wir uns den Tag über noch im Gemeinschaftsraum aufhalten können, was zum Glück kein Problem ist. Ich trinke einen Tee nach dem anderen und bin eigentlich froh, dass ich mich noch etwas ausruhen kann. Sehnsüchtig warten wir auf Nachricht von Katrin, hören aber sehr lange nichts von ihr. Gegen Mittag kommt dann endlich die Erleichterung: Sie sitzt mit Ihrem Gepäck im Bus und wird um 16.15 Uhr in Broadford ankommen. Wir bummeln nochmal durch den Ort, liegen wieder im Gemeinschaftsraum des Hostels rum und ich trinke noch mehr Tee. Und Whisky. Dann ist es endlich soweit und wir holen Katrin an der Bushaltestelle ab, ich springe noch schnell in die Apotheke und besorge etwas gegen Halsschmerzen, dann marschieren wir auch schon los in Richtung Skye Trail.


Der Skye Trail
Der Skye Trail ist ein spektakulärer Wanderweg auf der Isle of Skye in Schottland, der sich über etwa 128 Kilometer erstreckt. Er führt durch beeindruckende Landschaften, darunter Berge, Küsten und malerische Dörfer, und bietet atemberaubende Ausblicke auf die umliegenden Inseln und das Meer. Der Weg ist bekannt für seine abwechslungsreiche Flora und Fauna. Wichtig zu beachten ist, dass der Skye Trail ein nicht offiziell markierter Weg ist, was eine gute Orientierung und Erfahrung im Gelände erfordert. Zum Glück haben Bernd und ich bereits am Vortag den Startpunkt ausgemacht, der ist nämlich wirklich nicht so einfach zu entdecken. Kaum sind wir die ersten Meter gelaufen, beginnt es zu regnen. Schottland eben. Zum Regen gesellt sich dann auch noch Wind, sodass wir schnell sehr nass sind und in unsere Regensachen schlüpfen. Die Heide blüht noch und dann tauchen die ersten Schafe tauchen aus dem Nebel auf, als wir die moorigen Hügel durchqueren. Regen peitscht uns ins Gesicht, aber irgendwie stört es nicht. Stattdessen setzt ein seltsamer Frieden ein. Als würde Schottland selbst uns sagen: Ihr gehört jetzt hierher. Andere Wanderer hingegen sehn wir kaum.






Der schmale Weg schlängelt sich langsam in die sanften Hügel der Highlands. Endlich gibt der Regen nach, und die Sonne bricht durch die Wolken, als wir den letzten Hügel überqueren. Vor uns öffnet sich der Fjord Loch Eishort, ruhig und weit, das Wasser glänzt wie flüssiges Silber im goldenen Licht des späten Abends. Wir alle bleiben stehen, sprachlos. Nach einem langen Tag voller Regen, Wind und Schlamm liegt das Ziel jetzt vor uns – still, majestätisch und wunderschön. Katrin lächelt schwach, während Bernd einen tiefen Atemzug nimmt, als könne er die Aussicht in sich aufsaugen. Für einen Moment sind wir einfach nur da, zusammen, ohne Worte, überwältigt von dem, was vor uns liegt.
Die Farben um uns herum leuchten jetzt intensiver – das satte Lila der blühenden Heide, das tiefe Grün der Hänge und das schimmernde Blau des Fjords, als wäre die Landschaft selbst aufgewacht, um uns zu begrüßen. Die Anstrengungen des Tages fallen von uns ab. Der Regen, die Müdigkeit, die nassen Füße – all das ist plötzlich nebensächlich. Hier, am Ufer dieses einsamen Fjords, haben wir es geschafft.
Wir drei teilen diesen Moment – die Erleichterung, das Staunen, das Gefühl, am richtigen Ort angekommen zu sein.






Hier sollten wir auch den ein oder anderen Bach finden, an dem wir unsere Wasservorräte auffüllen können, was dringend nötig ist, bevor wir unser Lager aufschlagen schließlich führt der „See“ vor uns Salzwasser. Nach kurzer Zeit finden wir auch einen kleinen Bach, müssen jedoch feststellen, dass Bernds brandneuer Wasserfilter nicht funktioniert. Hm joa, dann wohl ungefiltert.
Wir haben bereits die ein oder andere brauchbare Stelle gefunden, an der wir unser Zelte aufbauen könnten, gehen aber mit offenen Augen noch weiter. Vor uns liegen die Ruinen von Boreraig und als wir diese erkunden, taucht der perfekte Zeltplatz auf! Das Gras ist kurz heruntergefressen, der Boden ist eben und ein Bach läuft auch direkt vorbei und wir alle wissen, dass es keinen besseren Platz geben könnte.
Da die Sonne bereits untergeht, wurde es auch allerhöchste Zeit. Wir bauen die Zelte auf, kochen gemeinsam und trinken noch einen Schluck Whisky, schließlich sind wir ja in Schottland. Das Wasser vor uns liegt spiegelglatt da und für einen Augenblick ist alles perfekt. Die Welt ist still, der Wind hat nachgelassen, und ich spüre dieses Kribbeln in der Brust – Erschöpfung, Freude, und eine tiefe Dankbarkeit, diesen Moment hier mit den anderen zu erleben.


Um halb neun liegen wir bereits in unseren Zelten und kurze Zeit darauf beginnt es auch wieder zu regnen. Alles richtig gemacht. Internet Empfang haben wir übrigens keinen, was an sich nicht tragisch ist, mir bei der angespannten Situation zuhause aber doch etwas Bauchschmerzen bereitet.
Unsere heutige Etappe war entspannte 8,4 km lang, mit 199 Höhenmetern bergauf. Dafür, dass wir erst so spät los sind, ist das in Ordnung, wir hatten uns acht bis 10 Kilometer vorgenommen. Morgen wartet der wahre Beginn unserer Reise. Mehr Kilometer, mehr Herausforderungen – und wer weiß, welche Überraschungen Skye noch für uns bereithält. Die Insel ist unberechenbar, genau wie das Wetter. Und genau deswegen sind wir hier.

No responses yet