Schon lange stehen die Polarlichter auf meiner Liste von Dingen, die ich im Leben mal gesehen / erlebt haben möchte. Und eine Reise nach Finnland im Winter, weit nördlich über dem Polarkreis, schien hierfür die perfekte Gelegenheit zu sein (ausführlicher Bericht folgt. Irgendwann).
Und tatsächlich, bereits im Flugzeug geht eine Flugbegleitung durch die Reihen, sagt, dass alle die Leselampen ausschalten sollen, weil Polarlichter zu sehen seien. Polarlichter, noch bevor ich richtig angekommen bin? Unfassbar! Tatsächlich sehe ich keine, nur das blinken der Lampen des Flugzeugflügels, auf den ich von meinem Platz aus schaue. Ein bisschen enttäuscht bin ich schon. Aber auch hoffnungsvoll, dass die Chance doch ziemlich gut steht, tatsächlich welche zu sehen. Auf dem Weg zum Hotel bin ich dann doch etwas neidisch, als ich die Handyfotos der anderen sehe, die anscheinend bessere Plätze im Flugzeug hatten als ich.
Dann Wolken, Wolken, Wolken, aus denen zarter, glitzernder Polarschnee rieselt, was wunderschön ist, aber Polarlichter kann man dort hindurch nicht sehen. Und der KP-Wert (der Index der geomagnetischen Aktivität) ist auch ziemlich niedrig, was bedeutet, dass die Aussicht auf Polarlichter (Aurora Borealis) nicht sonderlich gut ist. Sie entstehen bekanntermaßen, wenn elektrisch geladene Teilchen des Sonnenwindes aus der Magnetosphäre auf Sauerstoff- und Stickstoffatome in den oberen Schichten der Erdatmosphäre treffen und diese ionisieren. Dabei entsteht eine Fluoreszenz. Das am meisten gesehene grüne Licht entsteht durch die Anregung von Sauerstoffatomen in 100 km Höhe, rotes Licht entsteht ebenfalls durch Sauerstoffatome in der dünneren Atmosphäre in gut 200 km Höhe. Violettes bis blaues Licht entsteht durch ionisierten Stickstoff. Hierzu sind aber sehr hohe Energien notwendig. (Quelle: Wikipedia) Wenn man diese sieht, ist es also eigentlich gar nicht so gut. Genug Wissen aufgefrischt.
Eine besondere Schneeschuhwanderung
Am dritten Abend ist eine „Nachtwanderung“ mit Schneeschuhen für die Polarlichtjagd geplant. Nachtwanderung ist relativ, da es eigentlich fast die ganze Zeit dunkel ist. Sonnenaufgang ist um 11:30 Uhr und Sonnenuntergang um 13:15 Uhr. Aber die Sonne geht gar nicht richtig auf, es ist einfach nur etwas heller als in der Stunde Dämmerung vor und nach Sonnenaufgang. Aber die Tour ist schon recht spät, Treffpunkt ist um 19:30 Uhr. Das mit den Schneeschuhen gefällt mir. Breitbeinig durch den tiefen Schnee stapfen ist zwar ziemlich anstrengend (vor allem nach 15 km Langlaufski vorher) und irgendwie sinke ich trotz der Schneeschuhe bis zu den Knien ein (Powder!). Es schneit immer noch und eigentlich braucht man auch gar keine Stirnlampe, der Schnee reflektiert viel Licht und so konzentriere ich mich darauf, nicht umzufallen und sauge die Natur um mich herum auf. Alles glitzert und ist so friedlich. Wir schrecken einen Fasan im Schnee auf, das ist nicht so friedlich. Auch wenn ich weiß, dass die Chancen auf Polarlichter schlecht stehen, starre ich immer wieder in den Himmel. Vielleicht zeigt sich ja doch ein grünes Flimmern. An einer kleinen Hütte machen wir Pause, entzünden ein Lagerfeuer und trinken heißen Blaubeersaft. Das gehört hier immer dazu, stellt sich in den folgenden Tagen heraus. Ich bin froh, dass ich noch eine zusätzliche Jacke im Rucksack habe und genieße die Zeit am Lagerfeuer. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie so ein Feuer nicht nur den Körper, sondern auch die Seele erwärmt. Es werden Geschichten erzählt und nun weiß ich auch, warum ich immer im Rauch sitze.
Am besten gefallen mir die alten Geschichten über die Polarlichter. Faszinierend, das quasi jedes Land seine eigene Erklärung dafür hat. Natürlich ist es schöner, sich diese Geschichten anzuhören, während man bei tiefen Minusgraden am Feuer im Schnee sitzt und heißen Beerensaft trinkt, dennoch möchte ich hier ein paar davon erzählen.
In Norwegen hieß es, dass die Polarlichter Reflexionen auf den Schildern der Walküren seien, die über den Himmel reisen, um mutige und ehrenvolle Krieger zu Odin nach Walhalla zu geleiten. Hier betrachtet man die Lichter mit großem Respekt.
In Schweden hingegen glaubte man, dass die Nordlichter durch verstorbene Jungfrauen erzeugt wird, die im Himmel tanzen. Daher senkt man besser respektvoll seinen Blick. Auch sollte man die Lichter nicht anschreien oder anpfeifen.
Meine Lieblingsgeschichte ist aber die der Finnen: Hier erzählt man sich, dass die Polarlichter durch den Fuchs Sámi entstehen, der mit seinem Schwanz die Funken der Polarlichter entzündet, während er über den Himmel läuft. Schafft man es, den Himmelsfuchs einzufangen, erhält man Glück und endlosen Reichtum. Aber wie viel Reichtum braucht man, wenn man einen Fuchs hat, der Polarlichter erzeugt?
Natürlich gibt es noch viel mehr Legenden und jede ist auf ihre Weise faszinierend. Und während ich so am Feuer sitze, vergesse ich den wissenschaftlichen Hintergrund ganz schnell und frage mich, wie es sich wohl früher für die Menschen angefühlt hat, wenn am Himmel plötzlich dieses Schauspiel anfing, während sie sich genauso wie ich am Feuer erwärmt haben. In meinem Kopf vermischen sich die Legenden zu meiner ganz eigenen Geschichte.
Aber irgendwann geht es dann zurück. Ohne die Polarlichter gesehen zu haben, aber mit noch mehr freudiger Erwartung.
Wer braucht schon Apps?
Die Nächste Nacht ist zwar klar, aber laut App kaum eine Chance auf Polarlichter. Trotzdem stelle ich mir einen Wecker auf 0:00, weil da die Chance etwas höher sein soll. Natürlich kann ich vorher nicht schlafen und um Mitternacht laufe ich bei -20°C im Bademantel auf der Veranda herum und starre suchend in den Nachthimmel. Nichts zu sehen. etwas enttäuscht krieche ich wieder ins Bett, kontrolliere die App und stelle den nächsten Wecker auf 4:00 Uhr. Es ist immer noch recht klar, aber es ist auch immer noch nichts am Himmel zu sehen. Beim Frühstück schnappe ich dann auf, dass am Abend wohl ganz schwach Polarlichter zu sehen waren. Das ärgert mich etwas, vielleicht ist die Veranda einfach nicht der richtige Ort, um nach Polarlichtern zu suchen.
Das passiert mir nicht nochmal. Egal, was die blöden Apps sagen. Gegen 22:30 Uhr ziehe ich mir ziemlich viele Anziehsachen an, nehme die Kameraausrüstung, Stirnlampe uns stapfe in die kalte Nacht. Wenn ich schon keine Polarlichter sehe, kann ich ja wenigstens ein paar tolle Aufnahmen von dem atemberaubendem Nachthimmel machen. Ich Fotoprofi. Natürlich habe ich zur Sicherheit nochmal drei Fotoblogs gelesen und einen Spickzettel dabei. Ich fühle mich wie eine kleine Entdeckerin, als ich vollgepackt Richtung Wald marschiere. Um diese Uhrzeit. Ernüchternd muss ich allerdings feststellen, dass das in Lappland wohl ganz normal ist. Ich bin alles andere als allein. Naja egal, trotzdem irgendwie aufregend. Ich finde relativ schnell einen für mich geeigneten Fotospot und baue das Stativ auf dem Weg auf. Langlaufende werden ja jetzt wohl nicht mehr unterwegs sein. Ich knipse so vor mich hin und bestaune die Sterne. Wenn es zuhause doch nur so einen Himmel gäbe.
Es wird langsam kalt und ich stelle die Kamera nochmal anders hin, um etwas auszuprobieren. Bei der Bildkontrolle sehe ich einen grünen Schein auf dem Display. Momentmal, das sind doch nicht etwa Polarlichter? Ich starre in den Himmel, auf die für mich eher gräulich scheinende Wolke. Doch, ich glaube da ist etwas!
Ganz schnell wird zusammengepackt, ich brauche einen besseren Spot, also auf zum See. Kaum trete ich aus den Bäumen auf den zugefrorenen See, sehe ich das Licht tanzen. Naja, tanzen ist übertrieben, es ist tatsächlich mehr eine längliche grüne Wolke, die sich langsam über den Himmel schiebt. Aber mein Herz klopft wie verrückt und eventuell hüpfe ich vor Freude auch ein bisschen durch die Gegend. Und eventuell hab ich ein bisschen Pipi in den Augen. Es ist einfach magisch. Das muss ich natürlich fotografieren. Wie zur Hölle stellt man den Fokus der Kamera eigentlich auf unendlich? Vielleicht hätte ich das vorher nochmal üben sollen. Ich schieße so um die 50 Fotos, versuche irgendwie festzuhalten, was ich da sehe. Wenn ich durch den Sucher schaue, sehe ich so ziemlich gar nichts. Leider kommen zu der Sonnenwindwolke noch andere Wolken hinzu, und so ist das Spektakel relativ schnell vorbei. Aber ich habe sie tatsächlich gesehen, die Nordlichter.
Es zieht sich leider ziemlich schnell zu und der grüne Schimmer verschwindet. Dafür macht sich die Kälte ganz schön bemerkbar. Bei gut -15° C ohne Bewegung auf einem zugefrorenen See zu stehen, ist doch ziemlich kalt. Also ab ins Apartment, nochmal heiß duschen und dann ins Bett. Ich bin immer noch ganz aufgeregt, dass ich mir diesen Traum erfüllen konnte.
Das Wunderbarste an den Wundern ist, dass sie manchmal wirklich geschehen.
Gilbert Keith Cesterton
Der nächste Tag ist noch kälter. Und kein Wolke ist am Himmel zu sehen. Den ganzen Tag über (zumindest in der Zeit, in der Tageslicht zu sehen ist) ist das Licht einfach unglaublich. alles ist in sanfte Pastelltöne getaucht und der Berg, den ich eigentlich besteigen wollte (Navigation und ich – keine guten Freunde), wird sogar von der Sonne angestrahlt. Der Übergang zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang ist fließend und doch merkt man einen kleinen Unterschied in den Farbe, wenn man genau hin sieht. Nach einigen Stunden draußen brauche ich eine zusätzliche Zwischenschicht, es friert einfach alles. Kamera, Handy, Haare, Wimpern. Ich habe sogar Eiskristalle auf den Wangen.
Aber kalt und klar bedeutet auch: Die Chance, die Polarlichter nochmal zu sehen, ist recht hoch. Laut App immer noch nur minimal (13% oder so), aber Versuch macht klug. Kurz vor Mitternacht geht es nach der Sauna also nochmal raus. Und da ist es wieder: Das grüne Schimmern am Himmel, kräftiger diesmal, aber immer noch unbeschreiblich schön. Zaghaft tanzt es über den Himmel, hier und da dreht es sich ein wenig. Ich stelle mir Sámi den Fuchs vor, wie er dort oben durch den Himmel flitzt, die Funken seinem Schweif folgend und bin noch mehr verzaubert. irgendwann ist er außer Reichweite, der Fuchs, der den Himmel entzündet. Dafür kriecht die Kälte immer weiter unter die drölfzig Kleidungsschichten, die man bei fast -30°C so trägt. Ein Gefühl von Dankbarkeit und tiefer Zufriedenheit durchströmt mich Ich freue mich auf das (hoffentlich noch) prasselnde Kaminfeuer im Zimmer und stapfe durch den Schnee zurück.
Das beste kommt zum Schluss
Letzter Abend, letzte Chance. Wetter war besonders kalt. -34°C bei den Huskys am Morgen. Kälterekord für diesen Winter. Das Licht hat nochmal alles gegeben und die Schneelandschaft und mein Herz verzaubert.
Und endlich endlich sagt die schlaue App auch Polarlichter voraus. Was dann jetzt wohl kommen mag? Der Koffer ist schon so gut es geht gepackt und der Kälteschutzanzug abgegeben. Früher als die letzten Nächte geht es gegen 21.00 aufs Eis. Erst beginnt es etwas unscheinbar, ein sanfes grünes Leuchten direkt über dem See. Aber was sich dort dann am Himmel abspielt, ist wirklich atemberaubend. Aus dem Schimmern wird ein leuchtender Streifen. Erst windet er sich wie eine riesige Schlange über den Himmel, dann entstehen wundervolle Strudel aus leichtend grüne Licht. Es ist relativ viel los auf dem See und überall hört man Begeisterung, wie bei einem Feuerwerk. Nur dass dieses Feuerwerk am Himmel tausendmal besser ist, als jedes vom Menschen entzündete Feuerwerk, was ich je gesehen habe. Voller Ehrfurcht stehe ich dort auf dem zugefrorenen See, den Kopf in den Nacken gelegt, staunend. Fasziniert davon, wie wundervoll dieser Planet doch ist, zu was die Natur fähig ist. Ich fühle mich klein und unbedeutend unter diesem großen Himmelszelt. Die Welt vollbringt so viele Wunder und so ein kleiner Mensch ist dabei doch ziemlich unbedeutend. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals zuvor so geerdet und so verbunden mit der Natur gefühlt habe, auch wenn ich der Natur durchaus schon näher war als jetzt, zwischen den Menschen, ein paar hundert Meter vom nächsten Ort entfernt. Es tut gut, den eigenen Fokus so weit von sich zu rücken und einfach alles um sich herum in sich aufzusaugen, es scheint, als würde meine eigene kleine Welt einen Moment still stehen, ich genieße einfach den Moment und freue mich, so etwas erleben zu dürfen.
Auch wenn die Jagd nach den Polarlichtern mehr als erfolgreich war, habe ich bei dieser Jagd doch viel mehr gefunden, als „nur“ die Lichter, die schon ein ziemlich großer Lebenstraum von mir waren. Ich habe einen Teil von mir wiedergefunden, der sich lang irgendwo in mir zurückgezogen hat.
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