Mein Wecker reißt mich um 6:30 Uhr aus dem Schlaf. Ugh. Die Versuchung, mich wieder im Schlafsack zu verkriechen, ist groß, aber es hilft nichts – ich muss raus und rein in die klammen Sachen. Draußen sind Kathrin und Bernd schon dabei, ihre Zelte abzubauen, während ich noch verschlafen mein Frühstück vorbereite. Leider sind wir dabei nicht lange allein: Die Midges haben uns entdeckt und stürzen sich wie ausgehungerte Vampire auf uns. Frühstück unter dem Mückennetz – ein Highlight, das ich so schnell nicht vergessen werde.
Kurz nach 8:00 Uhr sind wir endlich wieder auf dem Trail. Der Weg führt zwischen Wasser und Klippen entlang, und die flache Strecke ist angenehm zu gehen. Aber schon bald kraxeln wir eine steile Klippe hinauf, und oben erwartet uns ein völlig neuer Blick auf die Landschaft. An einer kleinen Brücke mit einem rauschenden Wasserfall machen wir die erste Pause und schälen uns aus den Regenhosen und in die Mückennetze. Das Wetter scheint endlich mitzuspielen.






Torrin – das Dorf der leeren Versprechungen
Unsere nächste Station ist Torrin und in meinem Kopf laufen bereits Bilder von heißem Kakao, Waffeln und Pommes ab. Doch die Realität holt uns schnell ein: Torrin besteht aus vielleicht fünf Häusern, einem Campground und mehr Kühen als Menschen. Das Café? Geschlossen. Der Foodtruck? Auch. Mein Traum von einem heißen Snack verpufft schneller als der Regennebel. Empfang haben wir hier ebenfalls nicht, also keine Chance, kurz die Lage zuhause zu checken. Torrin – ein gastronomisches Paradies für Kühe, weniger für hungrige Wandernde wie uns.





Der Pfad windet sich um Loch Slapin und scheint sich wie endloses Kaugummi zu dehnen, jeder Schritt zehrend, als wolle uns die Landschaft noch ein wenig länger festhalten. Ich will endlich wieder runter von der Straße. Wir visieren den Blà Bheinn Car Park als Ort für eine Mittagspause an. Hier gibt es öffentliche Toiletten und Sitzmöglichkeiten. Er liegt am Waldrand, doch statt einer ruhigen Pause empfangen uns Heerscharen von Midges – in bisher unvorstellbarer Anzahl! Und die wollen uns fressen! Es ist unerträglich, an Pause ist nicht zu denken. Wir marschieren durch den kleinen Wald, der einem Feuchtbiotop ähnelt. Kaum sind wir dem Regen entkommen, haben wir jetzt nasse Füße – die Stimmung könnte besser sein. Es geht bergauf, und mit jedem Schritt spüre ich meine Erkältung stärker; die beiden anderen sind mir längst voraus und ich schleppe mich frustriert hinterher. Ein Pfad ist bald nicht mehr erkennbar und wir versuchen auf unterschiedlichen Wegen möglichst trocken durch die Wiese zu kommen, was keinem von uns gelingt. Aber wenigstens konnten wir an einem kleinen Bach unsere Wasservorräte wieder auffüllen.


Kilmarie und die ersehnte Pause
Endlich erreichen wir eine Straße, und ich kann nicht anders, als laut eine Pause zu fordern. Wir konsultieren unser schlaues Buch und legen einen kleinen Parkplatz als Rastplatz fest. Wir beschließen, statt der „originalen“ Route über Elgol, eine kürzere Variante zu nehmen, darüber hatten wir gestern schon gesprochen. Damit sparen wir uns mindestens sechs Kilometer und holen somit die verlorene Zeit vom Vortag wieder auf. Wir gehen durch den noch kleineren Ort Kilmarie, an dem der Skye Trail nach links abbiegt und erreichen dann endlich den besagten Pausenplatz. Erschöpft lasse ich meinen Rucksack auf den Boden gleiten, setze mich drauf und esse einen Müsliriegel, während ich mir eine Aspirin Complex zubereite. Endlich ein Moment zum Durchatmen.

Von hier sind es nur noch knapp vier Kilometer bis zur Camasunary Bothy, wo wir die Nacht verbringen wollen. Eine Bothy ist eine einfache Wanderhütte, typisch schottisch: kein Komfort, aber ein Dach über dem Kopf und Schutz vor Wind und Wetter. Ursprünglich handelt es sich bei Bothies um alte, verlassene Bauernhütten oder Schäferhäuser. Die Ausstattung ist spartanisch – oft gibt es nur vier Wände, ein Dach, vielleicht einen Kamin und einfache Holzpritschen oder Sitzgelegenheiten. Fließendes Wasser, Strom und sanitäre Anlagen sind selten vorhanden, sodass Wandernde alles Notwendige, einschließlich Trinkwasser, selbst mitbringen müssen.
Bothies sind fest in der schottischen Outdoor-Kultur verankert und werden von der Mountain Bothies Association (MBA) instand gehalten. Sie stehen für Abenteuer, Einfachheit und die Naturverbundenheit, die Wandernde auf den britischen Inseln schätzen.
Unsere Variante schlängelt sich schön zwischen den Bergen hindurch. Wir müssen einen Bach passieren, über den man aber recht gut mit Steine hüpfen kommt. Dann geht es auf einmal doch recht steil nach oben. Oben angekommen, erwartet uns das, wofür Skye berüchtigt ist: ein Meer aus Nebel, das die Berge der Highlands nur erahnen lässt. Die Küstenlinie hebt sich vage im Dunst ab – ein schemenhaftes Versprechen in Grau. Und dort unten liegt irgendwo unsere Bothy.
Es geht noch steiler bergab, dafür ist der geschotterte Weg relativ breit und gut zu gehen. Und dann endlich – zwischen Nebelschwaden und grauen Hügeln taucht sie auf: die kleine Hütte am Ufer des Loch Scavaig. In diesem Moment sieht sie aus wie ein Schloss und ich fühle eine Welle der Erleichterung. Gleich sind wir da.





Camasunary Bothy – voller Leben
An der Hütte ist eine Jungstruppe, die aber nicht so aussieht, als würden sie wandern. Neugierig nähern wir uns der Bothy und öffnen die Tür und betreten einen kleinen Vorraum, der von einem kräftigen Duft nach Wanderschuhen erfüllt ist. Der Aufenthaltsraum ist spärlich, aber gemütlich eingerichtet – zwei große Tische, eine kleine Kochgelegenheit und, ganz hinten, der Schlafbereich mit einfachen Holzpritschen und Wäscheleinen, die schon mit nassen Zelten, Jacken und allerlei Ausrüstung belegt sind. „Da müssen die Jungs aber ein bisschen Platz machen, wir müssen unsere Anziehsachen doch trocknen“ brummel ich. Kathrin und ich reservieren uns sofort Schlafplätze im oberen Randbereich. Bernd entscheidet sich, draußen im Zelt zu schlafen. Ich überlege kurz, aber die Aussicht auf ein warmes, trockenes Dach über dem Kopf ist dann doch zu verlockend. Um den Duft nach Wanderschuhen noch zu Verstärken, wechsle ich auf meine Furtsandalen. Meine Füße sind so aufgeweicht wie nach drei Stunden Badewanne – mit dem Unterschied, dass das hier weit weniger entspannend ist.
Als wir anfangen unser Essen zuzubereiten (es gibt Polenta mit Pilzen. Spinat und Pinienkernen für mich), füllt sich die Hütte langsam. Zu den sieben Jungs aus Belgien kommt noch ein Deutscher, drei Schweizerinnen, zwei deutsche Paare, drei Londoner und noch weitere zwei Engländer. Die Hütte ist bald zum Bersten voll, und ich spendiere uns zur Feier des Tages noch eine Mousse au Chocolat als Dessert, das ich unbedingt mal ausprobieren wollte. Eigentlich war das als Mittagessen geplant. Erstaunt sehe ich mich um – es gibt frische Eier, Käse, Brot und Wurst auf den Tischen. Einige hier haben offenbar keine Scheu, die halbe Vorratskammer mitzuschleppen! Während draußen die Dämmerung hereinbricht, flackern drinnen Kerzen auf den Tischen und es wird ein richtig geselliger Abend.






Am Ende schlafen vier Leute draußen, der Rest stapelt sich in der Bothy – auf Bänken, auf dem Boden und Schulter an Schulter auf den Pritschen. Tja, Ruhe und Erholung in der Wildnis – ein Mythos, wenn man zwischen Kathrin und einem halbnackten Belgier liegt, dessen Hand verdächtig nah an meinem Hintern schwebt. Ich frage mich ernsthaft, ob die Entscheidung gegen mein Zelt wirklich so klug war.
Heute sind wir 22,8 Kilometer und 528 Höhenmeter gewandert – und ich bin gespannt, was morgen auf dem Skye Trail auf uns wartet. Eines steht fest: Skye hält immer eine Überraschung bereit.


Noch ein paar bewegte Bilder gibt es hier:
2 Responses
Es ist mal wieder eine Freude deine Berichte zum Trail zu lesen. Einmal die Reise aus einer anderen Perspektive zu sehen…. Ein gutes Jahr ist vergangen und ich erlebe wieder vieles neu. Außerhalb meiner eigenen Videos hab ich viel vergessen und freu mich immer drauf die alten Erinnerungen wieder zu bekommen. Das kannst du super mit deinem Tagebuch. Ich freue mich auf die Fortsetzung…
Es ist auch immer eine Freude mit dir zu wandern 🙂